Bekanntermaßen kann man einen behinderten Arbeitnehmer oft nicht „einfach so“ kündigen, sondern muss vorher die Zustimmung des Behindertenausschusses beim Bundeseinigungsamt im Rahmen des sogenannten Vorverfahrens einholen (§ 8 Abs 2 BEinstG). In den ersten sechs Monaten des Dienstverhältnisses greifen Ausnahmen. Das gilt sowohl für die alte als auch die seit der Novelle BGBl I Nr. 2010/111 neue Rechtslage, wie der Oberste Gerichtshof (OGH 26.11.2013, 9 ObA 96/13b) kürzlich entschied:
Es ging um einen Arbeitnehmer, der im August 2011 angestellt wurde und schon im Oktober 2011 den Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten beim Bundessozialamt stellte. Wichtig für die OGH-Entscheidung: Diesem Antrag lag kein Arbeitsunfall zugrunde.
Zuspruch Begünstigteneigenschaft
Im Jänner 2012 sprach der Behindertenausschuss dem Arbeitnehmer die Begünstigteneigenschaft zu, und zwar rückwirkend, also zum Datum seines Antrag.
Arbeitgeber-Kündigung ohne Zustimmung des BSA
Der Dienstgeber sprach Anfang Juli 2012 die Kündigung des begünstigt Behinderten aus und hielt dabei das Vorverfahren beim Bundessozialamt (BSA) nicht ein. (Der Betriebsrat erhob gegen die Kündigung ausdrücklich Widerspruch.)
Klage beim Arbeits- und Sozialgericht auf „Wiedereinstellung“
Der gekündigte Behinderte klagte auf Feststellung des aufrechten Bestandes seines Dienstverhältnisses beim Arbeits- und Sozialgericht. Er vertrat im Arbeitsprozess die Rechtsansicht, dass die Kündigung unwirksam sei. Es fehle die Zustimmung des Behindertenausschusses beim Bundessozialamt (BSA). Die arbeitsrechtliche Klage zielt darauf ab, dass der begünstigte Behinderte wieder eingestellt wird und ihm die zwischenzeitigen Gehälter nachbezahlt werden. Das finanzielle Risiko derartiger Arbeitsprozesse ist enorm – von den drohenden Schwierigkeiten bei der weiteren, durch Urteil eines Arbeitsgerichts auferlegten Zusammenarbeit abgesehen.
Der Arbeitgeber wiederum berief sich auf die gesetzliche 6-Monatsfrist: Wenn die begünstigte Behinderung in dieser Zeit eintritt, gelte kein besonderer Kündigungsschutz. Damit verkürzte er die arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Behinderteneinstellungsgesetzes freilich sehr:
Behinderteneinstellungsgesetz
Vor der Novelle BGBl I Nr. 2010/111 konnte man ohne vorherige Zustimmung des Bundessozialamts kündigen, wenn das Dienstverhältnis bei Ausspruch der Arbeitgeber-Kündigung noch keine sechs Monate bestanden hat (Ausnahme zu § 8 Abs 2 BEinstG). Nur wenn die Begünstigteneigenschaft in diesem Zeitraum aufgrund eines Arbeitsunfalls festgestellt wurde oder wenn in dieser Zeit ein Arbeitsplatzwechsel im Konzern erfolgt, ist keine Zustimmung des Bundessozialamtes nötig (Gegenausnahme zu § 8 Abs 2 BEinstG).
Die Novelle hatte zum Ziel, die Jobaussichten von begünstigt behinderten Arbeitnehmern durch Aufweichung des besonderen Kündigungsschutzes zu verbessern. Wer nunmehr einen Arbeitnehmer anstellt, der in diesem Zeitpunkt schon begünstigt behindert ist, kann diesen vier Jahre lang ohne Vorverfahren beim Bundessozialamt (BSA) kündigen. Erst danach beginnt der besondere Kündigungsschutz. Erlangt der Arbeitnehmer, wie im vorliegenden Rechtsstreit, aber erst nach Abschluss des Dienstvertrags die Begünstigteneigenschaft, gilt das nicht: Dann muss man die Zustimmung des Behindertenausschusses vor der Arbeitgeber-Kündigung einholen. Die Sechsmonatsfrist greift auch hier, insofern hat sich durch die Arbeitsrechtsnovelle nichts geändert.
Arbeitsrechtliche Entscheidung des OGH
Diese Ansicht vertrat auch der OGH. Durch die Novelle sollte sich die Rechtslage von Arbeitnehmern, die im laufenden Arbeitsverhältnis erst begünstigt Behinderte werden, nicht ändern. Maßgeblich ist nur, dass die Arbeitgeber-Kündigung nach Ablauf von sechs Monaten ausgesprochen wurde und der Arbeitnehmer die Begünstigteneigenschaft schon hatte.
OGH 26.11.2013, 9 ObA 96/13b
Kristina Silberbauer