Eine Kündigung kann nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG angefochten werden, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist, das heißt, wenn sie wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt. Da eine Kündigung für Arbeitnehmer nie angenehm ist, müssen hier erhebliche soziale Nachteile entstehen, die über die normale Interessensbeeinträchtigung bei einer Kündigung hinausgehen. Ausschlaggebend sind einerseits die Chancen des Gekündigten am Arbeitsmarkt und andererseits die wirtschaftliche und soziale Lage des Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen…
 
Das Gericht prüft hier also – oft unter Zuhilfenahme eines berufskundlichen Sachverständigen – wie rasch der gekündigte Arbeitnehmer einen neuen, einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatz finden kann. Es wird eine Prognose darüber erstellt, welche  wirtschaftlichen und sozialen Folgen die Kündigung  für den Arbeitnehmer konkret haben wird.
Der OGH beschäftigte sich unlängst mit einem Fall, in dem ein Assistenzprofessor in Salzburg gekündigt wurde und übergangslos eine neue Beschäftigung an einer Fachhochschule in St. Pölten fand.
Der Professor klagte wegen Sozialwidrigkeit – der neue Job war mit erheblichen finanziellen Nachteilen verbunden, die sich nicht nur durch die Einkommenseinbuße von rund 25 % ergaben, sondern auch durch die Fahrtkosten und die Kosten für eine Kleinwohnung in St. Pölten. Der OGH schickte den Fall an das Erstgericht zurück. Die Vorinstanzen haben nämlich den Sachverhalt nicht genau genug untersucht. Das Klagebegehren abzuweisen, da der Kläger nahtlos in ein neues Beschäftigungsverhältnis im Hochschulwesen eingetreten sei, war ihm zu wenig.
Vielmehr befand der OGH, dass doch noch zu untersuchen sei, ob der Professor einen ähnlichen Arbeitsplatz näher bei seinem Wohnort finden hätte können. Bei so qualifizierten Tätigkeiten wie im Hochschulbereich, wo es nur verhältnismäßig wenig Stellen gibt, ist allerdings die Anwendung von großzügigen Verweisungskriterien gerechtfertigt. So spreche es also auch gegen die Sozialwidrigkeit, wenn der Kläger einen anderen Job in der Wirtschaft finden würde. Die Bewertung der Arbeitsmarktchancen sind also nicht auf die Tätigkeit im Hochschul- oder Fachhochschulbereich oder überhaupt auf Lehr- und Vortragstätigkeiten beschränkt zu beurteilen.
Bei der Prüfung der wesentlichen Interessensbeeinträchtigung muss laut OGH außerdem berücksichtigt werden, dass im Fall des Wochenendpendelns ja noch zusätzliche Aufwendungen für eine angemessene Zweitwohnung getätigt werden müssen. Im Fall des Tagespendelns muss die erheblich verlängerte Fahrtzeit zum neuen Arbeitsplatz bei der Beurteilung der wesentlichen Interessensbeeinträchtigung berücksichtigt werden.
Außerdem erscheint ihm relevant, dass die Ehegattin des Klägers als Akademikerin ganztätig in Salzburg beschäftigt ist. Es ist davon auszugehen, dass sie auch nicht einfach einen Job in St. Pölten finden würde.
Die Prüfung der Sozialwidrigkeit erfolgt also immer im Einzelfall und ist ganz auf die konkreten Umstände des Arbeitnehmers bezogen. Dass ein Arbeitnehmer in einem 260 km entfernten Ort einen neuen Arbeitsplatz findet, lässt den Arbeitgeber das Verfahren noch nicht gleich gewinnen. Allerdings schon, wenn die Zukunftsprognose zum Zeitpunkt der Kündigung aussagen würde, dass der Arbeitnehmer eine ähnliche – wenn auch inhaltlich nicht ganz gleiche – Tätigkeit im Umkreis seines Wohnortes finden würde.
Claudia Simon, Kristina Silberbauer 2011
(OGH 04.11.2010, 8 ObA 59/10z)