Grob fahrlässig handelt, wer ungewöhnlich und darum auffallend sorglos handelt oder sich mutwillig Gefahren aussetzt, die erheblich über das „bei einer vernünftigen Lebensführung Übliche“ hinausgehen – sodass der Eintritt der Dienstverhinderung als wahrscheinlich vorhersehbar ist. Hält es ein Arbeitnehmer ernstlich für möglich, dass ihr Verhalten eine Erkrankung herbeiführt, und findet sie sich damit ab, liegt sogar Vorsatz vor.
Beweisproblem
Dass ein Arbeitgeber trotz Krankheit seines Mitarbeiters keine Entgeltfortzahlung leistet, kommt relativ selten vor. Zum einen wird es ihm in der Regel schwerfallen, die (zumindest) grobe Fahrlässigkeit zu beweisen. Der Erkrankte muss seine Diagnose ja nicht offenlegen. Zum anderen liegt grobe Fahrlässigkeit selten vor, geschweige denn Vorsatz.
Beispiele sind der Ausfall eines Mitarbeiters, der sich infolge Alkohol- oder Drogeneinflusses oder erheblicher Missachtung der Straßenverkehrsordnung verletzt hat. Auch nach Unfällen bei gefährlichen Sportarten, die die Kräfte und Fähigkeiten des Arbeitnehmers überfordern, kann die Entgeltfortzahlungspflicht entfallen. Das Missachten ärztlicher Anordnungen im Krankenstand könnte den Entgeltanspruch für jene Zeit beseitigen, um die sich die Genesung deshalb verzögert.
Recht auf Privatleben
Wie sieht es aber mit jemandem aus, der sich trotz Verfügbarkeit des Impfstoffes und ohne Kontraindikation nicht gegen Covid-19 impfen lässt? Immerhin ist jeder Arbeitnehmer aufgrund der Treuepflicht angehalten, die Arbeitsleistung unter Einsatz seiner körperlichen und geistigen Kräfte fachgerecht zu leisten. Das umfasst grundsätzlich auch privates Verhalten, wenn es Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit haben kann. Umgekehrt gilt die Vornahme einer Impfung als medizinische Behandlung. Die Entscheidung, sich nicht oder schon impfen zu lassen, ist dem Recht auf Privatleben und damit auf körperliche Unversehrtheit zuzuordnen.
Fehlender Konsens
Eine Impfung abzulehnen lässt sich derzeit dennoch nicht mit einer auffallenden Sorglosigkeit gleichsetzen. Dazu fehlt die staatliche Impfpflicht. In Anbetracht der Durchimpfungsrate kann nicht einmal von einem eindeutigen gesellschaftlichen Konsens gesprochen werden, der die Impfverweigerer als sonderlich unvernünftig herausstechen ließe. Selbst wenn die Begründung für das Nichtimpfen unvernünftig ist – Stichwort Weltverschwörungstheorien –, ist es das Faktum des Nichtimpfens nicht unbedingt. Noch fehlen Langzeiterfahrungen und auch eindeutige wissenschaftliche Erkenntnisse zum Wirkungsgrad der Impfung, sowohl hinsichtlich des Schutzes für den Geimpften als auch vor der Ansteckung anderer.
Egoistisch, nicht fahrlässig
Es mag egoistisch sein, bei der Impfentscheidung nicht auch an den Schutz der Gesellschaft, sondern nur an sein eigenes Wohl zu denken. Das allein begründet aber keine grobe Fahrlässigkeit im Arbeitsverhältnis, das die Rechtsbeziehung zweier Personen, nämlich des Arbeitgebers und Arbeitnehmers, betrifft. Gesellschaftliche Erwägungen sind auf staatlicher Ebene relevant, nämlich für die Frage einer gesetzlichen Impfpflicht, die zwar in Grundrechte eingreift, aber zum Schutz der Gesundheit anderer verhältnismäßig sein kann.
Auch wenn das Nichtimpfen allein die Entgeltfortzahlung bei einer Corona-Erkrankung kaum ausschließen kann, sind andere pandemiebedingte Fälle möglich. Wer sich etwa deshalb ansteckt, weil er oder sie an einer illegalen Corona-Party teilnimmt oder jegliche Pflicht zum Tragen einer Maske ignoriert, darf von seinem Arbeitgeber nicht erwarten, dass er weiterbezahlt wird. Freilich wird die grobe Fahrlässigkeit noch deutlicher sein, wenn es sich um Ungeimpfte handelt, die sich so verhalten.
Aus heutiger Sicht kann einem an Covid-19 Erkrankten die Entgeltfortzahlung in der Regel nicht schon allein deshalb versagt werden, weil er oder sie sich trotz Möglichkeit nicht impfen ließ. Das schützt freilich nicht davor, dass der Arbeitgeber das Dienstverhältnis beendet. (Kristina Silberbauer, 6.9.2021)
https://www.derstandard.at/story/2000129424130/entgeltfortzahlung-auch-fuer-ungeimpfte