Wer als Arbeitgeber versucht, das Arbeitszeitgesetz (AZG) korrekt anzuwenden, braucht Rechtsberatung. Damit hat dieses Gesetz seinen Zweck verfehlt. Freilich kann ein Gesetz nicht jeden erdenklichen Sonderfall regeln. Die alltäglichen Fragen sollten aber für jeden verständigen Unternehmer und Arbeitnehmer aus dem Text beantwortbar sein. Das ist derzeit nicht der Fall. Und der vorliegende Entwurf der Regierung bringt keine Abhilfe.

Ein gutes Beispiel ist die gerade so heiß diskutierte Gleitzeit. Obwohl das ein weitverbreitetes Arbeitszeitmodell ist, widmet ihm das AZG nur ein paar Sätze.

Gleitzeit ist ein Abdealen: Arbeitnehmer dürfen ihre Arbeitszeit weitgehend selbst bestimmen, dafür gibt es bis zu (derzeit) zehn Stunden am Tag grundsätzlich keine Überstundenzuschläge.

Wenn sich Arbeitnehmer nun anlässlich des geplanten Zwölfstundentages sorgen, dass Arbeitgeber das ausnützen werden, indem sie eine elfte und zwölfte Arbeitsstunde ohne Zuschläge erwarten oder anordnen, ist das ein alter Hut: Auch jetzt könnte die Gleitzeit konterkariert werden, indem Arbeitgeber – entgegen der Idee der flexiblen Selbsteinteilung – Arbeitnehmern dichte Abgabe- oder Kundentermine vorgeben oder eben Arbeit bis zehn Stunden pro Tag anordnen.

Das Problem ist jetzt wie nach der Novelle dasselbe: Das AZG regelt nicht, wie viel Flexibilität die Arbeitnehmer haben müssen, damit es noch Gleitzeit ist.

Klare Regeln fehlen

Denn eines ist klar: Wegen der Gleitzeit verliert der Arbeitgeber nicht das Recht auf pünktliche Erledigung der Arbeitsaufträge oder professionellen Umgang mit terminlichen Erwartungen vonseiten der Kunden. Während arbeitnehmerseitig gerne die Ansicht vertreten wird, 50 Prozent der vereinbarten Normalarbeitszeit müsse dem Arbeitnehmer zur freien Einteilung zur Verfügung stehen, fehlt genau diese Regelung im AZG.

Das AZG kennt nicht einmal die „Kernzeit“, also jenen Teil der Arbeitszeit, in dem der Arbeitnehmer laut vielen Gleitzeitvereinbarungen arbeiten muss. Genau dieses Thema könnte die Politik nun aufgreifen und angehen; es hätte größere Breitenwirkung als der Streit um zehn versus zwölf Stunden Arbeit pro Tag.

Gesetz, das jeder versteht

So könnte man nun versuchen, exemplarisch ein Gesetz zu schaffen, das möglichst jeder versteht. Man könnte aus dem Fundus der höchstgerichtlichen Entscheidungen schöpfen und jene Themen, die erst dort klargestellt wurden, in das Gesetz aufnehmen. Nach Neuformulierung und Komplettierung des Arbeitszeitrechts müssten sich Arbeitgeber nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen, wie man Überstundenpauschalen oder „alte“ All-in-Vereinbarungen bei Gleitzeit richtig rechnet; wie Reisezeiten (auch Wegzeiten zum/vom Homeoffice) zu werten und wie sie zu entlohnen sind.

Man hätte klare Regeln zur Hand, wie Gleitzeit oder Durchrechnung mit Teilzeitmitarbeitern vereinbart und gelebt werden kann. Es wäre dann eindeutig, wie es zu der – schon jetzt zuschlagsfreien – Übertragung von Zeitguthaben oder auch von Zeitschulden in die nächste Gleitzeitperiode kommt, ob nämlich automatisch oder durch Entscheidung des Arbeitgebers, und inwieweit anderslautende Vereinbarungen zulässig sind.

Es würde sich auch lohnen, die teilweise völlig veraltete Verordnung zum Arbeitsruhegesetz (ARG-VO) zu durchforsten. Diese regelt, welche Arbeiten auch am Wochenende bzw. während der wöchentlichen Ruhezeit erlaubt sind. Zulässig sind etwa explizit „die Umstellung öffentlicher Uhren“ oder bestimmte Dörrarbeiten in „Klenganstalten“ – so viel zur Aktualität.

Immerhin dürfen Call-Center betrieben werden – telefonische Meinungsumfragen sind im Rahmen echter Arbeitsverhältnisse hingegen (eher) nicht erlaubt. Ob am Wochenende Kinder in Feriencamps mit Übernachtung durchgehend betreut werden dürfen – darüber lässt die Verordnung den Anwender ebenfalls im Unklaren.

Freizeit statt Geld

Gerade die aktuellen Streitthemen könnten dabei auch bereinigt werden. Für eine elfte oder zwölfte Stunde könnte ein „Ablehnungsrecht ohne Angabe von Gründen“ zugunsten der Arbeitnehmer vorgesehen werden – „Freiwilligkeit“ ist ein gar schwer nachweisbarer Zustand.

Um gesundheitliche Sorgen auszuräumen, könnte man für ebendiese Stunden Zeitausgleich – mit entsprechendem Zeitzuschlag – innerhalb einer bestimmten Frist vorsehen. Eine finanzielle Abgeltung würde dann eine Vereinbarung beider Seiten voraussetzen – entgegen dem generellen System, wonach Überstunden primär auszuzahlen sind.

All das neu zu denken setzt voraus, dass die Beteiligten bereit sind, miteinander zu sprechen und Kompromisse einzugehen, die gerade nicht aus bewusst unklaren Regeln bestehen. (Kristina Silberbauer, 2.7.2018)

https://www.derstandard.at/story/2000082600669/gleitzeit-ein-groesserer-wurf-fuer-die-arbeitszeit