Es gehört mittlerweile zum Normalfall, dass Arbeitnehmer auf Ausbildungen geschickt werden. Die Handhabung solcher Ausbildungszeiten erfolgt in der Praxis manchmal leger, indem sie beispielsweise nur so weit als Arbeitszeit verzeichnet und bezahlt werden, als sie während der vereinbarten Arbeitszeit stattfinden. Ausbildungszeiten am Abend oder Wochenende werden dann als Freizeit gewertet und nicht bezahlt. Damit räumt der Europäische Gerichtshof (EuGH 28.10.2021, C‑909/19) nun weitgehend auf.

Ausbildung am Wochenende

Der Ausgangsrechtsstreit fand in Rumänien statt und betraf einen Abteilungsleiter mit Vollzeitverpflichtung. Er absolvierte über Weisung seines Arbeitgebers eine berufliche Fortbildung im Ausmaß von 160 Stunden. Sie fand auswärts, bei einem vom Arbeitgeber ausgewählten Unternehmen, und zwar nachmittags, abends und auch am Wochenende, statt. Von den absolvierten Fortbildungsstunden lagen 124 außerhalb seiner normalen Arbeitszeit und wurden dem Kläger nicht bezahlt, was ihn zur Klage auf Bezahlung – und zwar als Überstunden – veranlasste.

Das Verfahren in Rumänien wurde unterbrochen, um den EuGH zu fragen: Stellt die Zeit, in der ein Arbeitnehmer nach dem Ende der normalen Arbeitszeit am Sitz des Fortbildungsdienstleisters außerhalb seines Arbeitsorts und ohne Erfüllung von Dienstaufgaben vorgeschriebene Fortbildungskurse besucht, „Arbeitszeit“ dar?

Arbeitszeit oder Ruhezeit

Dazu der EuGH: Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 definiert den Begriff „Arbeitszeit“ als „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer … arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt“. In Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie wird der Begriff „Ruhezeit“ negativ definiert als jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit. Die Begriffe „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ schließen einander somit aus. Für das Vorliegen von Arbeitszeit ist charakteristisch, dass der Arbeitnehmer persönlich an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort anwesend sein und ihm zur Verfügung stehen muss, um gegebenenfalls sofort seine Leistungen erbringen zu können. Arbeitsplatz kann dabei jeder Ort sein, an dem der Arbeitnehmer nach Weisung seines Arbeitgebers eine Tätigkeit auszuüben hat, auch wenn es sich nicht um den Ort handelt, an dem er seine berufliche Tätigkeit gewöhnlich ausübt.

Wird ein Arbeitnehmer angewiesen, eine berufliche Fortbildung zu absolvieren, um seine Aufgaben ausüben zu können, so steht er seinem Arbeitgeber während der Fortbildungszeit „zur Verfügung“. Umso mehr, wenn der Arbeitgeber selbst mit dem Anbieter der Fortbildung den Vertrag abschließt. Dabei ist unerheblich, ob die Zeiten der beruflichen Fortbildung ganz oder teilweise außerhalb der normalen Arbeitszeit liegen.

Anpassungsbedarf

Das Ergebnis ist auch nach österreichischem Verständnis der Arbeitszeit nicht erstaunlich. Spätestens dieses Urteil sollte Arbeitgeber veranlassen, ihre Praxis betreffend Zeiten angeordneter Ausbildungen außerhalb der Normalarbeitszeit zu überprüfen, um Entgeltnachforderungen und Verwaltungsstrafen nach AZG und ARG zu vermeiden. Eine Wertung von Ausbildungszeiten am Wochenende als Arbeitszeit kann nämlich auch Konsequenzen für die – dadurch gestörte – wöchentliche Ruhezeit haben. Mehr Flexibilität besteht freilich bei Ausbildungen, die sich der Arbeitnehmer wünscht. (Kristina Silberbauer, 24.1.2022)

https://www.derstandard.at/story/2000132719130/eugh-urteilt-ausbildungszeit-kann-arbeitszeit-sein