Sind Krankenstände als Grund für Kündigungen tauglich oder umgekehrt ein unzulässiger, weil diskriminierender Kündigungsgrund?
Schon länger entwickelt sich die Judikatur zu der Frage, wann eine Erkrankung eine Behinderung darstellt. Das macht dann einen entscheidenden Unterschied, wenn die psychische oder physische Beeinträchtigung Anlass für eine Kündigung ist.
Handelt es sich um eine Behinderung, darf deshalb nicht gekündigt werden, weil sonst eine unzulässige Diskriminierung iSd § 7b Behinderteneinstellungsgesetz vorliegt. Dazu muss wohlgemerkt kein besonderer Behinderungsgrad, also keine sogenannte „begünstige“ Behinderung mit einem Grad von 50 Prozent oder mehr, vorliegen.
Handelt es sich hingegen „nur“ um eine Krankheit, kann das ein zulässiger Kündigungsgrund sein, selbst wenn die Kündigung eine besondere soziale Härte darstellt.
Eine neue Entscheidung des OGH (13.02.2025 9 ObA 24/24f) grenzt Krankheit und Behinderung ab.
Kündigung kurz nach Arbeitsunfall
Schon sechs Wochen nachdem ein Mitarbeiter einen Arbeitsunfall erlitten hatte und danach im Krankenstand war, wurde er gekündigt. Er kämpft nun gerichtlich darum, dass sein Arbeitsverhältnis fortgesetzt wird. Seine immer noch andauernde Arbeitsunfähigkeit komme einer Behinderung gleich. Seine Funktionsbeeinträchtigung sei nicht nur (wie im Fall einer Krankheit) vorübergehend, so seine Argumentation.
Auch wenn der Sachverhalt zu ergänzen und das Verfahren daher noch nicht zur Gänze abgeschlossen ist, lassen sich aus der OGH-Entscheidung wertvolle Schlüsse ziehen:
Fehlzeitenbewertung kann diskriminieren
Eine (mittelbare) Diskriminierung kann darin bestehen, dass Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen mit Behinderung im Vergleich zu solchen ohne Behinderung in besonderer Weise durch Krankenstände benachteiligt werden, wenn nämlich gerechtfertigtes Ziel und angemessene und erforderliche Mittel fehlen.
Dies kann laut OGH unter Berufung auf Judikatur des Europäischen Gerichtshofes (EuGH C-397/18 Nobel Plastiques Ibérica SA [Rn 59]) dann der Fall sein, wenn bei der Berechnung krankheitsbedingter Fehlzeiten nicht berücksichtigt wird, ob sie mit einer Behinderung im Zusammenhang stehen oder es sich um „schlichte“ Krankheiten handelt. „Ein behinderter Arbeitnehmer hat nämlich aufgrund seiner Behinderung typischerweise ein zusätzliches Risiko von mit seiner Krankheit [wohl gemeint: Behinderung] zusammenhängenden Krankenständen und ist auf diese Weise einem höheren Risiko im Zusammenhang mit der Beendigung seines Dienstverhältnisses ausgesetzt als ein nicht Behinderter.“
Das Auswahlkriterium einer hohen Fehlzeitenquote innerhalb eines Jahres kann also offenkundig Arbeitnehmer mit Behinderung benachteiligen, wenn die Abwesenheit vom Arbeitsplatz mit der Behinderung zusammenhängt, und so zu einer mittelbar auf der Behinderung beruhenden Ungleichbehandlung führen.
Von Unternehmen kaum erfüllbare Vorgaben
Daraus lässt sich ableiten: Wer eine Person mit (auch nur einfacher!) Behinderung kündigen will, sollte das nicht einfach aufgrund langer oder häufiger Krankenstände tun. Vielmehr sind jene Fehlzeiten, die mit der Behinderung zusammenhängen, milder zu bewerten, wobei die Entscheidung offenlässt, ob sie zur Gänze zu ignorieren sind. Allenfalls können ergriffene Maßnahmen zur Verhinderung oder zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Nachteile die Zulässigkeit der Kündigung fördern.
Nun wissen aber Unternehmen selten, dass eine Behinderung vorliegt, geschweige denn, worin sie besteht. Ebenso unbekannt ist häufig, woran ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin erkrankt ist. Ein Anspruch, die Diagnose zu erfahren, besteht nämlich nicht. Die Forderung nach einer differenzierten Bewertung von Fehlzeiten wird in der Praxis daher schwer umzusetzen sein.
Vor diesem Hintergrund erscheint es schon fast einfacher oder zumindest rechtssicherer, sich von Mitarbeitenden mit begünstigter Behinderung zu trennen: Zwar muss hier vorher die behördliche Zustimmung zur Kündigung eingeholt werden. Gemäß § 8 Abs. 4 Behinderteneinstellungsgesetz können aber gerade Krankenstände als Kündigungsgrund ins Treffen geführt werden. Ein schwer aufzulösender Widerspruch zur dargelegten Judikaturlinie. (Kristina Silberbauer, 5.5.2025)